Bitte nicht authentisch!
Für mehr Rollentreue in der Führung

Wenn ich Führungskräfte danach frage, was ihr Führungsverhalten auszeichnet, bekomme ich häufig diese oder ähnliche Antworten: „Ich glaube, dass ich authentisch rüber komme…“

Mit dieser Antwort sind Führungskräfte nicht allein. Befragungen (Ingrid Gestbach/20191) zeigen, dass über 60% Authentizität als die wichtigste Führungseigenschaft nennen – noch vor zum Beispiel Begeisterungsfähigkeit und Belastbarkeit. Die Führungskraft soll echt sein, mit Ecken und Kanten, unverfälscht, aufrichtig, ehrlich integer – so finden wir die Beschreibungen in vielen Ausschreibungen. Authentisch sein, ehrlich ausdrücken, was einen bewegt, welche Visionen und Intuitionen einen bewegen, Empathie, Kreativität … alles wichtig und richtig. Sie beeindrucken uns und wirken motivieren. Ich halte eine authentische Arbeitsweise für durchaus sinnvoll. Authentizität macht es uns möglich, in komplexen Situationen emotional wie auch kognitiv unseren inneren Kompass nicht zu verlieren.

Ich will aber auf die blinden Flecken aufmerksam machen, die diese Seite von Führung eben auch hat. Wenn wir uns anschauen, vor welchen Herausforderungen wir angesichts der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Transformationen stehen habe ich die Sorge, dass Führung dahin gehend kippen kann, dass man nur noch die eigenen, (un)bewusst sehr persönlich ambitionierten Gefühle und damit verbundenen Ziele im Blick hat, und das große Ganze, die Aufgaben und die damit verbundenen umfassenden Verantwortlichkeiten übergeht. Wenn man aus dem Blick verliert, welche Rolle man im Unternehmen einnimmt, und was mit dieser Rolle an Verantwortung für das Unternehmen verbunden ist, dann hilft Authentizität nicht, um diese Herausforderungen zu meistern.

Was es jetzt braucht, ist Zeit und Raum sein eigenes Tun in Verbindung mit der Position und der Rolle, genauer zu hinterfragen um sich nicht aufgrund von Zeitnot, Veränderungsdruck usw. auf fast jeden Lösungsansatz stürzen, der auf den ersten Blick fachlich und menschlich einleuchtend, motivierend und scheinbar auch wirkungsvoll klingt. Es ist verständlich, dass man in kritischen Phasen, die Dinge nicht hinterfragen kann und will. Aber die aktuellen Herausforderungen sind zu tiefgreifend, als das sie mit einem Schuss Authentizität in Verbindung mit etwas mehr technischem Rüstzeug gelöst werden könnten. Folgt man primär z.B. Stimmungen, Meinungen, Machtbestrebungen, verschwimmen die Aufgaben, die Verantwortlichkeiten und die Rollen. Aber es ist wichtig, die Rollen, die man Inne hat, sauber auseinanderzuhalten, Rollen, die sich verheddert haben, auseinander zu dröseln, und sich der Vorbildwirkung in Verbindung mit der Position bewusst zu sein.

Es braucht die Fähigkeit zwischen den verschiedenen Rollen zu trennen, nicht nur um ein Rollen-WirrWarr zu vermeiden, sondern eben auch um sich den Kopf frei zu halten und situationsspezifisch klar und eindeutig handlungsfähig zu bleiben. Kommt es zu Rollen-Verwirrungen und zu keiner klaren Trennung beispielsweise zwischen Ich-Rolle und der Rolle als Führungskraft, werden Entscheidungen verblendet getroffen und Fehlentscheidungen sind die Folge.

In Unternehmen handeln Führungskräfte die sich ganzheitlich einbringen wollen und sollen. Die Rolle die sie in der heutigen Zeit einnehmen benötigt steht daneben aber eben auch im Fokus.

Die Investition in professionelle und persönliche Entwicklung lohnt. Neue Einsichten und Aussichten sind unvermeidlich.

Ihre Marion Kramer

Links und Lesetipp:

Ausgabe 4/2019 mit dem Titel „Von der Rolle“ der Zeitschrift OrganisationsEntwicklung
www.zoe-online.org

R. Goffee und G.Jones, Experten für Organisation an der London Business School: gute Unternehmer bzw. Manager ihre Authentizität unter Kontrolle bringen. Sie müssen ihre Authentizität sorgsam aufbauen und vorsichtig damit umgehen.