Wie gelingt Veränderung?
Kollektive Intelligenz im Management

Transformation ist Alltag geworden und dass scheint so zu bleiben. Wodurch können Manager ihre Wirkungskraft erhöhen, innere Stabilität erhalten und zum Ausdruck bringen, erhalten und gleichzeitig am Markt zu gewinnen?  Eine zeitgenössische Antwort besteht darin, die kollektive Intelligenz des Unternehmens vermehren zu wollen und damit zu erhöhter Wertschöpfung im Unternehmen beizutragen.

Was ist kollektive Intelligenz? Zu nächst schöpft dieser Begriff seine suggestive Kraft aus der Analogie zu seinem individualistischen Pendant. Jeder glaubt zu wissen, was individuelle Intelligenz ist. Ist folglich also kollektive Intelligenz die Intelligenz von Kollektiven, oder besser von Familien, Gruppen, Organisationen und Gesellschaften?

Kollektive Intelligenz ist ausdrücklich nicht die Summe der individuellen Intelligenzen. Nicht automatisch führt also die Zusammenführung individueller Intelligenzen bei der Lösung komplexer Fragestellungen zu Ergebnissen, die den individuellen Problemlösungen von Einzelindividuen überlegen sind.

Es scheint also Prozesse in Systemen zu geben, in diesem Fall im Gesellschaftssystem, die mit ihrer spezifischen inneren Verfasstheit und Ablaufdynamik im Vergleich zu einem theoretischen Optimum suboptimale Ergebnisse produzieren. Gleichzeitig sind aber auch Prozesse identifizierbar, bei denen die gesellschaftlich ausgehandelte Lösung, den Lösungsansätzen der Wissenschaftler haushoch überlegen sind. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn das Problem so komplex ist, dass es nur durch die Partizipation wesentlicher Gesellschaftsgruppen gelöst werden kann.

Was berechtigt also von kollektiver Intelligenz zu sprechen? Offensichtlich gibt es einen qualitativen Unterschied zwischen individueller und kollektiver Intelligenz, der sich in größerer Dummheit wie auch in größerer Intelligenz auf beiden Seiten äußern kann. Die Systemtheorie hat für dieses Phänomen eine Antwort. Systeme bestehen eben nicht aus Menschen, sondern aus Kommunikation. Der Mensch gehört in dieser Theoriearchitektur zur Umwelt des Systems.

Der Systemcharakter kommt nur dann in den Blick, wenn man die Fixierung auf die beteiligten Menschen löst und auf die Regeln der Kommunikation im System abstellt. Warum sagen beispielsweise Erwachsene in

unterschiedlichen Kontexten teilweise sich widersprechende Dinge oder – aus individueller Sicht – schlicht die Unwahrheit?  Warum nehmen Menschen in unterschiedlichen Umgebungen völlig andere Rollen, Perspektiven, Haltungen usw. ein? Weil es ein Regelsystem gibt, so die Systemtheorie, welches sich zwar der Menschen „bedient“ aber ein eigene Systemlogik aufweist. Kollektive Intelligenz wäre also dann experimentell zu greifen, wenn man die Menschen in ihnen (partiell) austauscht und dennoch gewisse Problemlösungsmuster erhalten bleiben (vgl. hierzu auch die Schriften von C.Weick).

Individuelle Intelligenz ist definitionsgemäß ausschließlich immaterieller, geistiger Natur. Wir haben uns im Laufe der Wissenschafts-Geschichte auf eine Definition von Intelligenz verständigt, die in Gestalt sogenannter Intelligenztests ausgewählte geistige Operationen in Form von Aufgabenstellungen abfragt und aufgrund eher willkürlich vorgenommener Auswahl- und Bewertungsprozesse ein bestimmtes Intelligenzpotential zu unterstellen in der Lage zu sein glaubt. Schon früh ist dabei aufgefallen, dass der spätere Erfolg im Leben damit eher gering korreliert. Das Problemlösungspotential des Menschen ist also wohl eher unvollständig erfasst. Beispielweise ist in dieser Definition nicht enthalten wie ich mich meiner emotionalen Intelligenz bediene oder welche materiellen Hilfsmittel ich mir anschaffe oder einsetze.

Die Forschung, die sich mit kollektiver Intelligenz auseinandersetzt, legt bei ihrer Theoriebildung Sichtweise zugrunde, die sich an der Darwin´schen Evolutionstheorie orientiert. Die Formel “Survival of the fittest“ bedeutet bekanntermaßen nicht: „Überleben des Stärksten“ sondern „Überleben des Angepasstesten“. Der Intelligenzbegriff bezieht sich hier also auf die Fähigkeit, in je gegebenen Umwelten zu überleben. Die Evolution bedient sich nach Darwin eines prozessualen Dreischritts, um sich an die Umwelt anzupassen. Variation, Selektion, Retention. Die Selektion findet über das Überleben in einer je gegebenen Umwelt statt. Der in unserem Zusammenhang entscheidende Schritt ist der Schritt der Verankerung im Genom: die sogenannte Retention. Das was erworben wurde, nämlich die evolutionäre Intelligenz, definiert durch ihre Bewährung im Überlebenskampf, wird im Genom abgelegt, gewissermaßen für die Reproduktion gespeichert.

Worin speichert die Organisation ihr geronnenes Überlebenswissen. Wie schaut der Retentionsprozess in Organisationen aus? Wie schafft sie es, Reproduktionsbedingungen für intelligentes Anschlusshandeln zu schaffen? Die Antwort lautet folgendermaßen: Jede Form von Hardware, die geeignet ist, den Prozess des Organisierens zu ermöglichen und zu verstetigen wie Strukturen, Handlungsanweisungen, Programme, Systeme kurz: Alles was dazu beiträgt, dass das Rad nicht immer wieder neu erfunden werden muss, ist in dieser Theoriekonstruktion als manifestierte Intelligenz zu begreifen.

Damit gelangen wir zu einer umfassenden Bestimmung des Begriffs „kollektive Intelligenz“:

Kollektive Intelligenz ist zu definieren als die spezifische Fähigkeit der Organisation, mit den ihr spezifisch zugewachsenen Mitteln mehr oder weniger angemessen, die anstehenden Probleme zu lösen. Dabei ist davon auszugehen, dass diese Problemlösungsfähigkeiten sich im Laufe ihrer Genese als System sich von den einbringenden Personen abgelöst haben und dem Besitz der Organisation zugerechnet werden können. Es ist dabei zu beachten, dass diese Problemlösungskapazität sich nicht nur in spezifischen kommunikativ vermittelten Fähigkeiten, Haltungen, Mustern oder Sichtweisen manifestiert, sondern sich vielmehr auch in Systemen, Programmen, Abläufen, Fabrikdesigns, Arbeitsorganisationen usw. abbildet.

Führungskräften bietet diese Sichtweise einen neuen Blick auf den Umgang mit Wandelprozessen in ihrer Organisation.

Neue Einsichten und Aussichten sind unvermeidlich.

Ihre Marion Kramer         

Links und Lesetipp:

Fritz B. Simon: „Gemeinsam sind wir blöd?!“ Carl Auer Verlag; 2018

www.fritz-simon.de